Brauns Quartier wächst und wächst. Nach dem restaurierten Kontorgebäude bestimmten moderne Wohnungsneubauten die Aktivitäten auf dem ehemaligen Fabrikareal. Nun rückt mit dem alten Labor- und Werkstatt-/Verwaltungsgebäude die historische Bausubstanz erneut in den Mittelpunkt. Dabei wartet Brauns Quartier mit originellen Lösungen auf, die attraktiven Wohnraum schaffen und zugleich der Stadt ein Stück Identität bewahren.
Die Welterbestadt Quedlinburg verbindet man gemeinhin mit dem über Jahrhunderte gewachsenen Fachwerkbestand der Stadt. Aber der städtebauliche Charakter Quedlinburgs wird auch durch zahlreiche Gebäude aus der Gründerzeit geprägt. Das trifft nicht nur auf Wohnhäuser oder Villen zu, auch zentrumsnahe Industrieanlagen prägten das architektonische Erscheinungsbild der Stadt. So war es nur konsequent, dass die Stadtentwicklungskonzepte in allen Entwicklungsphasen eine Revitalisierung alter Industrieanlagen und -brachen forderten. Damit war nicht nur eine Aufwertung stadtprägender Areale möglich. Auch eine Zersiedelung der Stadtperipherie mit Eigenheimobjekten konnte so minimiert werden.
Eine dieser Industriebrachen ist zweifellos die ehemalige Farbfabrik Wilhelm Brauns an der Bode im Harzweg. Mit der Schießung im Jahre 2004 endete nicht nur eine stolze Quedlinburger Firmentradition. Der Zahn der Zeit, Vandalismus und Brände führten zu einem städtebaulichen Problemfall in unmittelbarer Zentrumsnähe.
„Um 2014, nach zehn Jahren Verfall, haben wir mit ersten Untersuchungen zur Bestandsituation begonnen und zugleich erste Ideen und Konzepte für eine städtebauliche Nutzung entwickelt“ sagt Mandy Schmidt vom Quedlinburger Architekturbüro „bauwerk“. Dabei standen zunächst Fragen nach einer wirtschaftlichen Restaurierbarkeit im Mittelpunkt. Zunehmend bestimmte aber auch eine Erhaltung des städtebaulichen Charakters die Überlegungen. Folgerichtig lag der Fokus auf dem Firmenkontor sowie auf Gebäudeteilen, die am Zufahrtsweg zum alten Fabrikgelände lagen und direkt vom Harzweg aus einsehbar waren. Das betraf das alte Laborgebäude, den Schornstein und den ehemaligen Werkstatt- und Verwaltungstrakt, die aus der Anfangszeit der Farbfabrik stammen.
„Problematisch war zunächst, dass der gesamte Komplex unter Denkmalsschutz stand. In zahlreichen Vorortterminen konnten wir aber alle am Denkmalsschutz beteiligten Akteure von unserem Nutzungskonzept überzeugen“ erinnert sich Mandy Schmidt, die den Neuaufbau der historischen Bausubstanz verantwortet. Anne Kristin Funck vom Hamburger Büro „HS-Architekten“, das den Gesamtkomplex „Brauns Quartier“ federführend betreut und entwickelt, ergänzt: „Das Konzept zu Brauns Quartier verbindet historische Elemente mit einer klaren, modernen Architektursprache und schafft so an der Bode gelegene, landschaftlich attraktive Neubauquartiere in unmittelbarer Zentrumsnähe.“ In enger Abstimmung mit der Wohnagentur „fachwerk“ ging es immer darum, bei den architektonischen Lösungen denkmalpflegerische Belange, Wirtschaftlichkeit und vor allem Verkaufbarkeit optimal zu verzahnen.
Beim Kontorgebäude – im Innenbereich Jugendstil, im Außenbereich ein Bau der Moderne – ist das bereits gelungen. Das Objeket ist vollendet, wird durch ein Steuerberatungsunternehmen genutzt und ist ein architektonischer Hingucker am Harzweg.
Die Planungen für das Laborgebäude – ein Umbau in zwei Ferienwohnungen – sind abgeschlossen, der Bauantrag wird in Kürze gestellt. Nun läuft die Vorplanungsphase für das alte Verwaltungs-/Werkstattgebäude. Das soll von einer klassischen, horizontalen Ausrichtung der Wohneinheiten abweichen und vertikales Wohnen über mehrere Etagen ermöglichen. Dazu sind vier reihenhausartige Objekte konzipiert. „Der Eigentümer kann und soll dabei spüren, dass er in einem historischen Gebäude wohnt“ verdeutlicht Mandy Schmidt ihren Ansatz. So bleiben die Baukörper, von wenigen neuen Zugängen abgesehen, weitgehend unangetastet. Der Ziegelsteincharakter wird das äußere, aber auch das innere Erscheinungsbild bestimmen. Mit den markanten, geschwungenen Kappendecken werden die Räume eine ganz eigene Atmosphäre, jenseits aller Gipskarton-Ästhetik, ausstrahlen. Bei drei Wohneinheiten ist im Erdgeschoss die Garage integriert. Das zweite Obergeschoss wird in einen überdachten und in einen terrassenartigen Freibereich untergliedert. „Diese abgeschlossene Freifläche schafft Raum für individuelle Privatsphäre“ ist sich die Planerin sicher. In der Diskussion sind auch galerieartige Räume, die mit einem großzügigen, luftigen Loft eine Verbindung zwischen Erdgeschoss und 1. Obergeschoss schaffen.
Die Vorplanungen laufen, die Genehmigungsplanung steht in den Startlöchern. Wenn es keine überraschenden Verzögerungen gibt, ist der Baubeginn für den Herbst 2022 geplant. Dabei ist die vermarktende Wohnagentur „fachwerk“ schon im Boot, da es aufgrund von Sonderabschreibungen sinnvoll ist, wenn der künftige Besitzer bei Baubeginn feststeht.
So geht die Geschichte von Brauns Farbfabrik weiter. Farben werden hier nicht mehr hergestellt. Das übernimmt die Nachfolgefirma Brauns-Heitmann in Warburg. Auf dem alten Quedlinburger Firmengelände wächst mit Brauns Quartier aber ein städtebauliches Kleinod.
„Vielleicht werden die Bewohner der alten Firmengebäude eines Tages zu Ostern die Eier ihres Osternestes mit den Farben von Brauns-Heitmann färben“ denkt Mandy Schmidt ein wenig in die Zukunft. „Wenn wir es dann schaffen, ihnen mit unserem Gebäude das Gefühl zu geben, selbst in einem ganz besonderen, historischen Nest zu sitzen – dann haben sich unsere Anstrengungen schon gelohnt.“